Menschenhandel statt liebe

Wie wirkt sich Gewalt in der Kindheit auf Vulnerabilität aus?

Gewalterfahrungen in der Kindheit sind nie förderlich für die Entwicklung und Sicherheit von Menschen. In Fällen der Loverboy-Methode spielen gewaltvolle Erfahrungen in der Kindheit der Betroffenen häufig eine Rolle. Um diesen Umstand zu erklären, gibt es mehrere theoretische Hypothesen.

Gewalt hinterlässt Spuren

Kinder, die Gewalt erfahren oder miterleben müssen, tragen oft langfristige seelische Narben davon. In Deutschland wurde etwa ein Drittel der Bevölkerung mindestens einmal in der Kindheit misshandelt. Neben direkter Gewalt, wie Schlägen oder Missbrauch, gilt auch das Miterleben von häuslicher Gewalt als schwere psychische Belastung.

Solche Erfahrungen wirken sich nicht nur unmittelbar aus, sondern beeinflussen die psychische Gesundheit bis ins Erwachsenenalter. Typische Folgen sind zum Beispiel Depressionen, Angststörungen, Suchtverhalten oder sogar Suizidversuche. Gerade bei komplexen posttraumatischen Störungen und dissoziativen Störungen, wie sie häufig bei Betroffenen der Loverboy-Methode diagnostizierbar sind, wurden schon frühere Gewalterfahrungen in der Kindheit festgestellt. Je schwerer und länger die Gewalt andauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass solche Störungen auftreten. Die Wahrscheinlichkeit, selbst gewalttätig zu werden steigt – bei Männern ist dieser Effekt besonders stark. Doch auch die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer von Gewalt zu werden steigt an, hier jedoch stärker bei Frauen als bei Männern.

Erlernte Hilflosigkeit

Gewalt in der Kindheit schwächt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Kinder, die wiederholt erfahren, dass sie sich gegen Gewalt nicht wehren können oder mit ansehen, wie ihre Bezugspersonen Gewalt erfahren und sich nicht wehren, entwickeln oft ein Gefühl der Hilflosigkeit. Diese sogenannte erlernte Hilflosigkeit kann dazu führen, dass sich kognitive Verzerrungen bilden, die die Betroffenen auch auf andere Situationen übertragen und grundsätzlich davon ausgehen, sich nicht wehren zu können. Sie ist es wahrscheinlich, dass sie später in ihrem Leben passiv bleiben, an sich selbst zweifeln und Gewalt als „normal“ hinnehmen, anstatt sich zu wehren oder Hilfe zu suchen.

Bindung

Laut der Bindungstheorie prägen die ersten Bindungserfahrungen die grundlegenden Muster, wie ein Mensch Beziehungen eingeht. Kinder, die sichere und gesunde Bindungserfahrungen machen, haben es später leichter, gesunde Beziehungen auszubauen. Kinder, die Gewalt erfahren oder keine verlässliche Fürsorge erleben, entwickeln oft unsichere oder desorganisierte Bindungsstile und haben erhöhte Verlustängste. Auch diese werden bis ins Erwachsenenalter weitergetragen. Auch wenn ungesunde Beziehungsmuster dekonstruiert und verlernt werden können, besteht eine Tendenz dazu, diese zu wiederholen und toxische Beziehungen zunächst nicht zu hinterfragen.

Fazit

Genau hier setzt die Loverboy-Methode an: Täter bauen gezielt Vertrauen auf, versprechen Zuneigung und Aufmerksamkeit und isolieren die Jugendlichen nach und nach von ihrem Umfeld. Für junge Menschen mit unsicherer Bindung, niedrigem Selbstwert oder erlernter Hilflosigkeit ist es besonders schwer, Manipulation und Gewalt zu erkennen und sich zu lösen. Zusammengefasst zeigt sich: Gewalterfahrungen in der Kindheit begünstigen emotionale Abhängigkeit und eine erhöhte Verwundbarkeit. Das macht junge Menschen anfälliger für Täter, die mit der Loverboy-Methode arbeiten, denn die Täter können die durch die Gewalt entstandenen (oft ungesunden) Überlebensstrategien Betroffener zu ihrem Vorteil ausnutzen, um die emotionale Abhängigkeit zu vertiefen.

*Dieser Artikel ist aus einer Bachelorarbeit entstanden, aber keine wissenschaftliche Quelle! Wenn du die Inhalte zitieren oder weiterverwenden möchtest, lese sie bitte im Kontext der Arbeit und verwende die richtigen Quellen 😉

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