Welche Strategien und Narrative nutzen Loverboys?
Loverboys gehen gezielt vor, um junge Menschen emotional zu binden, zu isolieren und schließlich sexuell auszubeuten. Dabei nutzen sie psychologische Strategien, soziale Dynamiken und manipulative Erzählungen, die sich in vielen Fällen ähneln. Auch wenn die Abläufe individuell unterschiedlich verlaufen, lassen sich typische Muster erkennen, die sich über mehrere Phasen hinweg erstrecken.
In unseren Workshops mit Jugendlichen teilen wir den Verlauf in vier Phasen ein und lassen den Teil des Ausstiegs bei der Erarbeitung raus. Das macht für den Rahmen auch Sinn. Beim Erforschen der Täterstrategie werden die Phasen aber unterschiedlich eingeteilt. Mascha Körner1 hat das in ihrer Dissertation so dargestellt:
Phase 1: Anbahnung und Aufbau der Beziehung
Am Anfang steht meist die Kontaktaufnahme, oft über soziale Netzwerke, Dating-Apps oder im öffentlichen Raum – etwa vor der Schule, im Club oder an Bushaltestellen. Täter suchen gezielt nach Anzeichen von Verletzlichkeit: geringes Selbstwertgefühl, wenig familiäre Bindung oder soziale Isolation gelten als Risikofaktoren. Manche Loverboys bahnen aber auch eine Beziehung mit einer ihnen bereits bekannten Person aus dem eigenen Umfeld an.
Dann spielen die Täter große Gefühle vor: Sie überhäufen die Betroffene mit Aufmerksamkeit, Komplimenten und Geschenken. Gleichzeitig beginnt oft schon eine subtile Form der Manipulation, etwa durch Liebesentzug als Bestrafung für unerwünschtes Verhalten oder durch die beginnende Isolation vom sozialen Umfeld. Die Beziehung wirkt nach außen romantisch – tatsächlich wird hier bereits emotionale Abhängigkeit geschaffen.
Phase 2: Wendepunkt und Beginn der Ausbeutung
Früher oder später schlägt der Täter vor, dass die Betroffene Prostitution ausübt – oft angeblich „nur für kurze Zeit“ oder „um gemeinsam aus einer Notlage zu kommen“. Hier kommen verschiedene Narrative ins Spiel:
Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft: Die Aussicht auf ein gemeinsames Leben wird mit Bedingungen verknüpft („Wenn du uns wirklich helfen willst …“). Dazu gehört auch die sog. Milieuregel: Der Täter stellt Prostitution als normale Voraussetzung für eine Beziehung in seinem Lebensstil dar – tut sie das nicht, kommt eine Beziehung für ihn nicht in Frage.
Finanzielle Notlage: Eine vorgetäuschte Krise wird zum Hebel, um Druck auszuüben, wie Schulden des Täters oder Krankheit eines Familienmitglieds. Aufgrund dessen braucht es in kurzer Zeit viel Geld. Auch das Revanchieren für vorherige Geschenke kann gefordert werden.
Gewalteinwirkung: In manchen Fällen kommt es bereits hier zu massiver Gewalt wie Erpressung, Drohungen oder Vergewaltigung.
Diese Narrative sind emotional aufgeladen und appellieren an das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit oder Liebe. Durch die Isolation vom sozialen Umfeld stellt der Täter aus der Perspektive der Betroffenen oft die einzige Möglichkeit dar, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Daher ist die emotionale Abhängigkeit oft so stark, dass sich Betroffene trotz Gewalt loyal verhalten – oder sich sogar selbst die Schuld geben.
Phase 3: Aufrechterhaltung der Ausbeutung
Um die Ausbeutungssituation aufrecht zu erhalten, bedienen sich Täter verschiedenen Strategien. Die Anwendung von Gewalt – welcher Form auch immer – muss dabei nicht unbedingt eine Rolle spielen. In manchen Fällen sind hauptsächlich positiv-bestärkende Verhaltensweisen wie Liebesbekundungen, Geschenke und Versprechen zu erkennen, in anderen vor allem negativ-sanktionierende Maßnahmen wie Liebesentzug, Beleidigungen, Überwachung, Kontrolle über Geld und Papiere, Isolation, Gewaltandrohung. Selbst Androhungen von Gewalt – etwa gegen Familie oder Freund:innen – genügen häufig, um den Widerstand zu unterdrücken. Von Freunden und Familie ist die Betroffene zu diesem Zeitpunkt meist komplett isoliert. Ohne soziales Umfeld wird es besonders schwierig, aus der Situation auszubrechen.
Meist greifen Täter aber auf eine Wechselstrategie zwischen Belohnung und Bestrafung zurück – oft beschrieben als „Zuckerbrot und Peitsche“. Der Betroffenen wird durch das ambivalente Verhalten suggeriert, sie sei selbst an der Gewalt der Täters Schuld. So entsteht eine sehr komplexe Abhängigkeit zum Täter. Dieses Verhalten zielt darauf ab, die emotionale Abhängigkeit aufrechtzuerhalten sowie gleichzeitig jede Gegenwehr zu brechen und steht in Zusammenhang mit der Entwicklung komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen.
Phase 4: Der schwierige Ausstieg
Der Ausstieg gestaltet sich für viele Betroffene als besonders schwierig. Selbst nach der Trennung bleibt die emotionale Abhängigkeit oft bestehen. Täter verstärken diesen Effekt durch weitere Drohungen, emotionale Erpressung oder die gezielte Verhinderung von Aussagen bei Polizei oder Gericht. Um das nachzuvollziehen, lohnt es sich, die Mechanismen, die in der Psyche der Betroffenen durch das Verhalten des Täters ausgelöst werden, genauer zu betrachten. Das passt nicht mehr alles in diesen Artikel – in den nächsten Artikeln schauen wir uns Erklärungsansätze der emotionalen Abhängigkeit nochmal genauer an.
*Dieser Artikel ist aus einer Bachelorarbeit entstanden, aber keine wissenschaftliche Quelle! Wenn du die Inhalte zitieren oder weiterverwenden möchtest, lese sie bitte im Kontext der Arbeit und verwende die richtigen Quellen 😉
Quellen
Baier, Dirk, Hirzel, I., & Hättich, A. (2019). Das Loverboy-Phänomen in der Schweiz. Kriminalstatistik Schweiz, 11, 689–696.
BKA. (2017). Bundeslagebild Menschenhandel 2015. Bundeskriminalamt.
BKA. (2018). Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2017. Bundeskriminalamt.
BKA. (2025). Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2023. Bundeskriminalamt.
Botsford, J., Steinbrink, M., Steil, R., Rosner, R., & Renneberg, B. (2019). „Der Wolf im Schafspelz“: Ambulante entwicklungsangepasste kognitive Verhaltenstherapie nach Traumatisierung durch Zwangsprostitution. Psychotherapeut, 64(1), 65–70.
Doychak, K., & Raghavan, C. (2020). “No voice or vote:” trauma-coerced attachment in victims of sex trafficking. Journal of Human Trafficking, 6(3), 339–357.
Körner, M. (with Universität Vechta). (2023). Die Loverboy-Methode in Deutschland: Erklärungsansätze emotionaler Abhängigkeit vor dem Hintergrund von Vulnerabilität und Täterstrategien im Deliktsfeld Zwangsprostitution. Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens Lorei.
Müller-Güldemeister, S. (2011). Expertise zum Thema „Deutsche Betroffene von Menschenhandel“ (KOK, Hrsg.).
