Menschenhandel statt liebe

Sind nur Jugendliche von der Loverboy-Methode betroffen?

Wenn über die Loverboy-Methode geschrieben wird, steht das junge Alter Betroffener häufig im Mittelpunkt. Teilweise wird fast ausschließlich von Minderjährigen gesprochen, vor allem in den ersten Publikationen zum Thema. Eine Sonderauswertung des BKA aus dem Jahr 2021 zu den ihnen bekannten Fällen ergab ein Durchschnittsalter von 17 bis 21 Jahren, also immer noch jung, jedoch nicht zwangsläufig minderjährig. Auch wenn es sehr junge Betroffene unter 15 Jahren gibt, gibt es auch ältere Betroffene über 30 Jahren. Dennoch kann das junge Alter der Betroffenen eine Rolle spielen, wenn es um Vulnerabilität, also erhöhte Verletzlichkeit, geht.

Viele, viele Entwicklungsaufgaben

Die Jugendzeit – auch Adoleszenz genannt – ist die Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Sie beginnt ungefähr mit 10 Jahren und kann bis Mitte 20 andauern. In dieser Zeit verändert sich für junge Menschen vieles: körperlich, emotional und sozial. Die Entwicklungspsychologie spricht hier von Entwicklungsaufgaben – ein Konzept, das auf Robert J. Havighurst zurückgeht. Junge Menschen müssen in dieser Phase lernen, mit neuen Erwartungen umzugehen, ihre Identität zu entwickeln, sich zunehmend von den Eltern abzulösen, selbstständig zu werden und ihr Handlungsrepertoire erweitern. Gelingt das nicht, kann das zu Stress und Problemen führen. Einige dieser Entwicklungsaufgaben sind im Zusammenhang mit der Loverboy-Methode besonders relevant:

Veränderungen in Beziehungen

Eine zentrale Aufgabe ist die Loslösung vom Elternhaus: Jugendliche wollen eigenständiger werden, aber gleichzeitig besteht das Bedürfnis nach Schutz und Nähe weiter. Dieser Prozess ist nicht gradlinig, sondern ein ständiges Hin und Her. Häufig führt das zu Spannungen – nicht nur zwischen Eltern und Jugendlichen, sondern auch innerlich bei den jungen Menschen selbst.

Gleichzeitig werden Freundschaften und erste Liebesbeziehungen wichtiger. Junge Menschen lernen dabei, wie man Nähe und Eigenständigkeit in Beziehungen ausbalanciert. Nach dem Stufenmodell von Brown entwickelt sich Beziehungsfähigkeit in mehreren Schritten: von ersten Schwärmereien bis zu stabilen Partnerschaften. In jeder Phase sind die Jugendlichen mit neuen Anforderungen und Unsicherheiten konfrontiert. Während zu Beginn romantische Beziehungen vor allem der Entdeckung des Selbst und der Anerkennung durch Peers dienen, bauen Jugendliche ungefähr ab dem 17. Lebensjahr immer tiefere, verbindlichere Partnerschaften, in denen die Beziehungsperson die Rolle primärer Bezugspersonen einnehmen.

Der Täter kann also zum einen die bestehende Tendenz der Loslösung vom Elternhaus nutzen, um die Betroffene von ihrem Umfeld zu isolieren. Außerdem sind die Betroffenen, wenn man vom Durchschnittsalter zwischen 17 und 21 Jahren ausgeht, in einer Phase, in der Partner*innen Bezugspersonen zum ersten Mal komplett ersetzen, jedoch ohne viele Erfahrungen mit Paarbeziehungen zu haben. Täter können also sowohl das Bedürfnis nach einer tragenden Partnerschaft wie auch die Unerfahrenheit junger Menschen für die eigenen Zwecke ausnutzen.

Identität, Selbstwert und soziale Medien

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Jugend ist die Identitätsbildung. Jugendliche fragen sich: Wer bin ich? Was möchte ich? Diese Auseinandersetzung wird stark durch das Umfeld beeinflusst – Familie, Freunde, Schule und Medien. Studien zeigen, dass gerade bei Mädchen das Selbstbewusstsein zwischen 12 und 17 Jahren besonders schnell sinkt. Das muss vor dem Hintergrund weiblicher Sozialisation gesehen und auch auf dieser Ebene pädagogisch und gesellschaftlich angegangen werden.

Dazu kommen ständige Vergleiche mit anderen und unrealistischen Schönheitsidealen in und durch soziale Medien. Soziale Netzwerke bieten einerseits Möglichkeiten, sich auszutauschen und Bestätigung zu bekommen. Andererseits sind sie auch ein Ort, an dem Täter leicht Kontakt aufnehmen können – oft mit romantischen Versprechungen oder falschen Profilen. Gerade junge Mädchen sind besonders gefährdet, Opfer von Cybergrooming zu werden. Das Bundeskriminalamt beschreibt das Internet als häufigsten Ort, an dem Loverboys ihre Opfer ansprechen. Das Internet als digitaler Sozialraum ist zwar noch neu, unstrukturiert und rechtlich diffus, entwickelt sich aber rasant schnell und wird immer wichtiger, gerade für junge Menschen. Gleichzeitig stehen sie beim Erkunden und Gestalten dieser Räume meist mit unzureichender Unterstützung da. Erwachsene, die selbst ohne soziale Medien aufgewachsen sind, können sie beim sicheren Umgang damit oft nur wenig begleiten.

Belastung und Überforderung

Die vielen Aufgaben und Veränderungen in der Jugendzeit können überfordern. Wenn dazu noch Probleme kommen – wie Streit in der Familie, wenig Freunde, finanzielle Sorgen oder Zukunftsängste – steigt der Stress weiter. Die Psychologie beschreibt daher eine erhöhte als Vulnerabilität. Diese ist in der Adoleszenz ganz normal, macht Jugendliche aber anfälliger für Manipulation.

Täter, die nach dem Loverboy-Prinzip vorgehen, nutzen das gezielt aus: Sie bieten Liebe, Aufmerksamkeit und scheinbare Sicherheit. Oft wird eine intensive Beziehung aufgebaut, in der die Jugendlichen glauben, geliebt zu werden – während der Täter sie schrittweise isoliert, kontrolliert und abhängig macht. Freundschaften, die eigentlich schützen könnten, werden dabei häufig vom Täter unterbunden.

Fazit

Das junge Alter allein macht niemanden automatisch zum Opfer. Aber es bringt besondere Herausforderungen mit sich, die Täter gezielt ausnutzen können. Ein geringes Selbstwertgefühl, Unsicherheit, fehlende Unterstützung oder belastende Lebensumstände sind keine Schwächen – sondern normale Begleiterscheinungen des Erwachsenwerdens. Wichtig ist, dass junge Menschen gestärkt werden: durch Aufklärung, durch sichere Räume zum Austausch und durch Bezugspersonen, die sie ernst nehmen und begleiten.

Auch wenn nicht nur junge und minderjährige Menschen betroffen sind, werden die Besonderheiten dieser Lebensphase von Tätern gezielt ausgenutzt. Das kann Jugendliche und junge Menschen aus allen sozialen Schichten und mit unterschiedlichsten Hintergründen betreffen, da Entwicklungsaufgaben und Phasen genutzt werden, die alle betreffen. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit, in der Prävention möglichst viele junge Menschen zu erreichen.

*Dieser Artikel ist aus einer Bachelorarbeit entstanden, aber keine wissenschaftliche Quelle! Wenn du die Inhalte zitieren oder weiterverwenden möchtest, lese sie bitte im Kontext der Arbeit und verwende die richtigen Quellen 😉

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