Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Loverboy-Methode und häuslicher Gewalt?
Weltweit berichtet über ein Viertel der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren von Gewalt in intimen Beziehungen. In Deutschland waren 2023 fast 168.000 Personen betroffen – knapp 80 % davon Frauen. Gewalt in Paarbeziehungen, vor allem gegen Frauen, ist in unserer Gesellschaft alltäglich. Die Loverboy-Methode hingegen ist eine Form von Ausbeutung, die auf Täuschung, Manipulation und emotionaler Abhängigkeit beruht. Dabei handelt es sich um organisierte Gewalt, nicht um eine partnerschaftliche Beziehung. Dennoch ist für die Betroffene die Beziehung zum Täter real. Gewalt in Partnerschaften wird zunächst sehr breit als Gewalt zwischen Erwachsenen in bestehenden oder aufgelösten Beziehungen – dabei wird ein erster Zusammenhang erkennbar. Beim Betrachten der zugrundeliegenden Theorien kann man Parallelen entdecken, die beim Verständnis der Dynamik zwischen Täter und Betroffener helfen.
Gewalt in Partnerschaften
Gewalt in Partnerschaften kann viele Formen annehmen: körperliche (schlagen, treten, ohrfeigen…), psychische (beschimpfen, drohen, Schuld zuschieben…), sexualisierte (vergewaltigen, missbrauchen…) oder auch ökonomische (Arbeit und Einkommen kontrollieren, Geld abnehmen…) Gewalt. All diese finden sich auch in Loverboy-Fällen wieder und werden in der Literatur zu Thema eingehend beschrieben, auch wenn sie meist nicht mit Gewalt in Paarbeziehungen verknüpft werden.
In von Gewalt geprägten Paarbeziehungen besteht eine emotionale Abhängigkeit zum Täter. Der Loverboy ist oft nicht nur „Partner“, sondern zugleich Zuhälter. Damit kontrolliert er sowohl das Privatleben als auch den Alltag der Betroffenen. Das macht die daraus resultierende Abhängigkeit nachvollziehbarer und erklärt, warum viele Betroffene eine große Loyalität zum Täter entwickeln und oft kein eigenes Opferbewusstsein haben. Wichtig ist jedoch: Täterstrategien und Fallverläufe sind sehr unterschiedlich, sodass die Übertragbarkeit schwanken kann.
Die Spirale der Gewalt
Besonders relevant im Zusammenhang mit der Loverboy-Methode ist die sogenannte patriarchale Gewalt. Sie tritt nicht als spontane Eskalation auf, sondern als wiederkehrende und systematische Gewalt mit dem Ziel, Kontrolle und Macht zu sichern. Lenore Walker (1977) beschrieb als Erste ein Muster solcher wiederkehrender Gewalt in Paarbeziehungen, das sich in drei Phasen wiederholt und als Kreislauf stabilisiert:
- Spannungsaufbau
- Der Täter zeigt erste Formen von Gewalt (z. B. Drohungen, Einschüchterung).
- Die Betroffene versucht, ihn zu beruhigen oder „nichts falsch zu machen“.
- Dadurch entsteht der Eindruck, sie könne die Gewalt kontrollieren – eine trügerische Hoffnung.
- Explosion
- Die aufgestaute Spannung entlädt sich in akuter Gewalt.
- Es kann zu massiver körperlicher oder sexualisierter Gewalt kommen.
- In dieser Phase ist das Risiko für schwerste Verletzungen am höchsten.
- Entschuldigung / „Honeymoon“
- Der Täter zeigt Reue, entschuldigt sich, macht Geschenke, verspricht Veränderung.
- Die Betroffene will daran glauben und hofft auf eine „normale“ Beziehung.
- Mit der Zeit kann diese Phase immer kürzer werden oder ganz entfallen.
Dieser Kreislauf erklärt, warum Betroffene oft trotz Gewalt in der Beziehung bleiben – sie klammern sich an die Versöhnungsphasen und hoffen auf dauerhafte Veränderung.
Walter Peichl (2011) ergänzt Walkers Modell um psychodynamische Aspekte:
Bleiben als Überlebensstrategie: Für die Betroffene geht es nicht um „freie Entscheidung“, sondern oft um das Sichern des eigenen Überlebens, für das die Aufrechterhaltung der Beziehung notwendig ist. Die Übernahme der Schuld entlastet den Täter und stabilisiert die Beziehung kurzfristig.
Auslöser: Gewalt entsteht nicht „unvermeidlich“, sondern als Reaktion auf eine subjektiv erlebte Bedrohung der Macht des Täters oder ein Gefühl von Ohnmacht beim Täter.
Emotionsverarbeitung: Täter geben die Verantwortung für den Umgang mit ihren Gefühlen oft an die Partnerin ab. Wenn diese vermeintlich „versagt“, wird sie für die Gewalt verantwortlich gemacht.
Schuldumkehr: Die Frau glaubt, wenn sie sich nur genug anstrengt, könne sie die Gewalt verhindern. Das gibt ihr ein Gefühl von Handlungsmacht – auch wenn es in Wahrheit eine Täuschung ist. Peichl spricht davon, dass die Frau durch die Übernahme der Verantwortung eine vermeintliche Kontrolle gewinnt, während der Täter keinen Anlass sieht, sein Verhalten zu ändern. Das führt dazu, dass der Kreislauf bestehen bleibt.
In Fällen der Loverboy-Methode wechseln sich meist, wie in der Spirale der Gewalt beschrieben, Zuwendung und Gewalt ab. Der Täter verhält sich ambivalent und die Betroffene übernimmt Verantwortung für die Beziehung und hofft, durch ihr Verhalten Einfluss auf den Täter zu haben.
Während in langandauernden, gewaltvollen Paarbeziehungen oft eine Steigerung in der Schwere der Gewalt festzustellen ist, bleibt dies in Fällen der Loverboy-Methode meist aus. Das kann damit zusammenhängen, dass der Täter Gewalt nicht zwangsläufig aus einem Ohnmachtsgefühl heraus anwendet, sondern kalkuliert zum Ziel hat, die Ausbeutung aufrecht zu erhalten. Die „Reue“ ist meist nur taktisch eingesetzt, um die Kontrolle zu sichern. Die Auswirkungen auf die Betroffene sind jedoch vergleichbar.
Die Rolle patriarchaler Geschlechterrollen
Ein zentraler Faktor, der beide Gewaltformen verbindet, sind patriarchale Strukturen, die Gewalt gegen Frauen befeuern. Patriarchale Gewalt zielt auf Kontrolle und Macht, ohne dass Täter mit ernsthaften sozialen Konsequenzen rechnen müssen. Auch Loverboys agieren oft weitgehend straffrei. Gewalt gegen Frauen ist gesamtgesellschaftlich noch viel zu normal, im Kleinen wie im Großen, was jede Form von geschlechterspezifischer Gewalt unterstützt und ermöglicht. Die Gender-Dimension ist also zentral – auch wenn sie in vielen wissenschaftlichen Arbeiten nur am Rande auftaucht. Gerade weil die Loverboy-Methode eine extreme Eskalation von Gewalt darstellt, ist die Einbettung in strukturelle Macht- und Ungleichheitsverhältnisse unverzichtbar. Die Loverboy-Methode ist kein isoliertes Phänomen, sondern Teil eines größeren Musters von Gewalt, das eng mit patriarchalen Strukturen verknüpft ist.
*Psychodynamik ist ein Ansatz in der Psychologie, der davon ausgeht, dass das Verhalten von Menschen auch durch innere, oft unbewusste Gefühle und Konflikte beeinflusst wird – besonders solche, die aus frühen Erfahrungen in Beziehungen stammen.
*Dieser Artikel ist aus einer Bachelorarbeit entstanden, aber keine wissenschaftliche Quelle! Wenn du die Inhalte zitieren oder weiterverwenden möchtest, lese sie bitte im Kontext der Arbeit und verwende die richtigen Quellen 😉
Quellen
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